Caro liest laut: Bleib bei mir Sam von Dustin Thao

Caro liest laut: Bleib bei mir Sam von Dustin Thao

Das Buch: Bleib bei mir Sam von Dustin Thao

Trauer-Topic: Trauer um Partner im Jugendalter, Verbindung 

Trauer-Barometer: 3/5 (nicht ohne) 

 

„Bleib bei mir, Sam“ – Ein BookTok-Hype über Liebe und Verlust 

Falls euch dieses Buch schon über den Weg gelaufen ist, kein Wunder! “Bleib bei mir, Sam” von Dustin Thao* war einer DER Booktok-Hypes. So ziemlich jeder in der Buchwelt hat über dieses Buch gesprochen. Und damit auch über das Abschiednehmen und die Trauer. Vordergründig geht es darum, wie sich der Verlust des Partners im Jugendalter anfühlt. Zu einer Zeit, in der eigentlich alles noch vor einem liegt. Und plötzlich gefühlt nicht mehr. Aus meiner Sicht ist es dem Autor aber vor allem gelungen, ein ganz elementares Thema in der Trauerverarbeitung zum heimlichen Star der Geschichte zu machen: die Verbindung, die bleibt. (Achtung, ab hier gilt Spoiler-Alarm!) 

 

Trauer, Schuld und der schwere Weg des Loslassens 

In “Bleib bei mir, Sam” geht es um die 17-jährige Julie, die ihren Freund Sam verliert. Er stirbt und Julie bleibt zurück. Und mit ihr all die Pläne, die sie mit ihm geschmiedet hatte  – gemeinsam den Sommer in Japan verbringen, aufs College gehen, endlich den kleinen Ort hinter sich lassen und in die Stadt ziehen. 

Der Tod von Sam wirft für Julie das große Gefühls-Wirrwarr auf, dass die Trauer in petto hat. Sie verliert den Boden unter den Füßen, bei der Beerdigung dabei zu sein, erscheint ihr absolut unmöglich und ihr erster Impuls ist es, sich von Sams Sachen so schnell wie möglich zu trennen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Weg damit, weil Kopf und Herz nicht in der Lage sind, diese neue Realität auch nur im Mindesten zu verarbeiten und zur neuen Realität zu machen. 

Im Verlauf der Geschichte gesellt sich auch der gute Freund des Schmerzes, die Schuld, zu Julie. Sie hinterfragt ihren eigenen Anteil an Sams Tod immer und immer wieder und kreiselt auf und ab in der “hätte ich nur, dann wäre er noch”-Spirale. Sie kapselt sich von ihren Freunden ab, von Sams Freunden, von seiner Familie. Und auch hier lässt die Schuld es sich selbstverständlich nicht nehmen, einen großen Auftritt hinzulegen –  durch die gespiegelte Zurückweisung von außen und auch immer wieder wegen Julies Entscheidung, nicht auf der Beerdigung erschienen zu sein. Julie fühlt sich verloren, sucht ihren eigenen Weg aus diesem Trauerloch, das ihr ziemlich dunkel und irgendwie auch sinnlos erscheint. Sie pflastert ihre tastenden Schritte mit den Erinnerungen an Sam und mit Träumen ihrer großen Vorhaben. Bis sie eines Tages auf ihrer Suche nach ihm seine Nummer wählt. 

 

“Ich scrolle durch die Liste mit meinen Kontakten und überlege, wen ich sonst noch anrufen könnte. Aber die Auswahl ist nicht groß. Als ich die Lücke bei Sams Namen bemerke, fällt mir ein, dass ich ihn dort auch gelöscht habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich an seine Nummer überhaupt richtig erinnere, und ich weiß auch nicht, was ich mit dieser Aktion eigentlich will, vielleicht hoffe ich, ein letztes Mal seine Stimme auf der Voicemail zu hören, ihn ein letztes Mal zu hören, als wäre er noch da. Vielleicht kann ich ihm ja auch eine Nachricht hinterlassen. Ihn um Verzeihung bitten.” (S. 54 im Ebook) 

 

Und Sam geht ans Telefon. Ab diesem Moment ist die Geschichte über Sam und Julie für mich nicht mehr nur eine beschreibende Geschichte über Trauer. Ab hier wird ein Thema der Trauer zum zentralen Element des ganzen Buches. Und es liegt so nahe, dass ich es selbst erst in der Mitte des Buches bemerkt habe. Die Telefonverbindung zwischen Julie und Sam steht wortwörtlich für die Verbindung zwischen der lebenden Julie und dem verstorbenen Sam. Für die Verbindung zwischen zwei Menschen, die nach dem Tod trotzdem noch da ist.  

 

“»Bitte!«, ruft Oliver mir nach. Etwas Scharfes und Verletztes in seiner Stimme lässt mich anhalten. »Bitte ...«, sagt er noch einmal, diesmal fast verzweifelt. »Ich habe sonst nie-manden, mit dem ich wirklich darüber reden kann.« Ich drehe mich langsam um. Wir stehen uns gegenüber und schauen uns an, während andere sich an uns vorbeidrän-geln. Ich sehe plötzlich den Schmerz in seinem Gesicht. Er hat Sam auch verloren. Nur dass er mit ihm jetzt nicht so in Verbindung steht wie ich.” (S. 101 im Ebook) 

 

Telefonate als Symbol für die bleibende Verbindung 

Aber die Verbindung der beiden durchläuft einen Wandlungsprozess. Denn es ist ja nicht mehr alles so wie vorher. Und in diesem Prozess verändern sich über die Buchseiten hinweg auch die Telefonate zwischen Julie und Sam. Die Themen. Die Intensität. Die Erreichbarkeit. Der Empfang. Sie sind nicht immer das, was Julie eigentlich suchte. Aber sie symbolisieren im übertragenen Sinne genau das, was in der Trauer oft passiert. Die Suche nach der Verbindung kommt bei vielen Trauernden früher oder später auf. Was haben wir noch, wenn der eine jetzt weg ist? Was bleibt uns, wenn sie nun fehlt? Kann eine Verbindung immer noch so stark sein wie ein Tau, raufaserig aber ziemlich belastbar? 

 

“Wenn wir gut in Verbindung bleiben wollen, das habe ich inzwischen gelernt, müssen wir dafür den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Ort ausmachen. Auch wenn ich bei Bedarf jederzeit anrufen darf, soll ich es mir genau überlegen, hat Sam gesagt. Das macht mich nachdenklich. Ist die Zahl der Gespräche, die wir miteinander führen dürfen, begrenzt? Gehen sie allmählich zur Neige? Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber.” (S. 199 im Ebook) 

 

Trauer als Tau: Verbindung, die trägt und Halt gibt

Mit jedem einzelnen Telefonat setzt Julie das Tau, Faser für Faser, wieder neu für sich zusammen. Es gibt keine Gesetze, keine Anhaltspunkte dafür, wie diese Verbindung genau funktioniert und wie verlässlich sie ist. Aber sie spürt, dass die direkte Verbindung, die Gespräche mit Sam, endlich sind. Ohne es wahrhaben zu wollen. Aber mit jedem Klingeln des Telefons, mit jedem Zwiegespräch (das natürlich nicht ohne die Frage bleibt, ob sie eigentlich verrückt geworden ist) fühlt sie ihr altes Tau wieder mehr. Und kann sich daran Stück für Stück aus dem dunklen Trauerloch ziehen, kleine Annäherungen an das echte Leben machen, sich rantasten. An die Schule, an die alten Freunde, an die Menschen, denen Sam auch so sehr fehlt. 

Im Gesamten ist “Bleib bei mir, Sam” ein schönes und lesenswertes (wenn auch manchmal etwas kitschig angehauchtes) Buch über Trauer. Wenn man darüber hinaus noch mit einem kleinen Bisschen mehr Fachwissen oder tieferer Neugier über die Trauer hinein liest, birgt es einige ungeahnte Schätze mehr. Und genau darin liegt für mich der Zauber bei diesem Buch. 

 

Hier findest du "Bleib bei mir, Sam" von Dustin Thao bei Thalia.*

 

 

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Carolin Junge 

Caro ist ein kreatives Mastermind mit ganz viel Herz, das ganz besonders laut für Bücher schlägt. Da kommen mal locker 50 gelesene Bücher im Jahr zusammen – nur noch getoppt vom Stapel ungelesener Bücher, der einfach nicht aufhören will zu wachsen. Mit ihrem Unternehmen oh boy! und als Fachbuch-Autorin hat sie sich im Branding & Storytelling einen Namen gemacht. Als ausgebildete Trauerbegleiterin (VMN) hat sie außerdem das Büro Ciao gegründet, einen Creative Space in Sachen Trauer. Damit bringt sie frischen Wind und mehr Awareness in die staubtrockene Trauerkultur. Mit ganz neuen, kreativen Trauerprojekten holt sie das Tabu-Thema unter dem viel zu hohen Teppich hervor (Stay tuned!) und bringt Menschen dort mit Tod und Trauer in Berührung, wo es auf den ersten Blick "eigentlich gar nicht hingehört".

     

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