Das Buch: Bye. wir sprechen von Tod, Abschied und dem, was bleibt von Laura Letschert & Julia Felicitas Allmann
Das Tauer-Thema: den Horizont um Tod, Trauer & Abschied erweitern, vielfältige Trauer-Themen
Trauer-Barometer: 3/5 (nicht ohne)
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“Bye” ist ein Buch, das sich speziell mit Tod, Trauer und Abschied beschäftigt. Soweit so klassisch. Was du hier erwarten kannst: kein Drumherumgerede, kein Schein, kein Wolf im Schafspelz. “Wir beschäftigen uns jetzt damit", sagt das Buch. Trotzdem ist “Bye” dabei gar nicht so klassisch wie andere Trauerbücher. Und genau das macht es aus meiner Sicht lesenswert. (Und es ist ein Hingucker im Bücherregal, falls das auch zählt!)
“Bye” überzeugte mich als Erstes mit seinem Cover. Typo und Farbwahl auf dem Cover sind super zeitgemäß und finden sich so auch in den Tiefen meiner drölfzig Inspo-Boards auf Pinterest. Es war also nicht verwunderlich, dass ich das Buch besitzen wollte.
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Dazu gibt so ein Cover auch schon den ein oder anderen Hinweis darauf, wie konservativ oder progressiv ein Thema angegangen wird. Und bei “Bye” war für mich völlig klar: Hier wird’s modern. Und (hoffentlich) anders als das, was sich schon leicht angestaubt in den Trauer-Bücherregalen findet. “Wir sprechen von Tod, Abschied und dem, was bleibt” schreiben die Autorinnen unter die drei dicken blauen Buchstaben. Ich find’s prima, das machen wir ja sowieso zu wenig. Und es zahlt sich fast immer aus.
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“So oft, wenn wir unserem Umfeld erzählten, woran wir arbeiteten, kamen – nach einem ersten Moment der Überraschung oder auch der Unsicherheit – interessierte Nachfragen und bestärkende Worte. Viele unserer Freund:innen, Familienmitglieder, aber auch Menschen, die wir in einem anderen Kontext neu kennenlernten, haben oft ganz unvermittelt begonnen, ihre eigenen Lebensgeschichten zu teilen und von ihren persönlichen Abschieden zu erzählen. Und zwar nicht in einem bedrückenden Setting unter dunklen Wolken, sondern ganz einfach in einem schönen Café, beim Abendessen oder auf dem Spielplatz. Auf einmal sprachen wir nicht mehr über das Wetter oder die Neuigkeiten aus dem Freundeskreis, sondern von den essentiellen Fragen des Lebens, die uns als Menschen bewegen.” (Laura Letschert & Julia Felicitas Allmann / S. 279)
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Nachdem ich mich also, ohne viel Vorwissen zu dem, was mich konkret erwarten wird, neugierig zum Inhaltsverzeichnis blättere, fĂĽhle ich Vorfreude, weil Julia und Laura ganz viele unterschiedliche Perspektiven in diese Seiten gesteckt haben. Wir treffen einen Mann, der auf ein Spenderherz wartet. Progressive Berliner Bestatter. Eine Mutter, die ein Kind verloren hat. Eine Philosophie-Dozentin, die frĂĽher Intensivkrankenschwester war. Einen Mann, der mit seiner Familie vor dem Krieg geflohen ist. Eine alte Dame, die nicht nur den Verlust ihrer Eltern im Krieg und den Tod ihres Mannes erlebt, sondern auch bei der schweren Flut im Ahrtal ihr Zuhause verliert. Einen Mann, der mit einer diagnostizierten Krankheit mit deutlich reduzierter Lebenserwartung lebt. Eine Frau, fĂĽr die eine Freitodbegleitung das selbstgewählte Ende ihres Lebens sein soll. Und noch weitere Menschen, die ihre Erfahrungen teilen.Â
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Das sind Geschichten, Erfahrungen und Blickwinkel, die darĂĽber hinausgehen, was in den meisten BĂĽchern zu Trauer, Tod und Abschied zu finden ist. Und das mag ich.Â
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Es sind nicht die “üblichen Verdächtigen”, die eigentlich immer in der Trauer-Bubble zu Wort kommen bzw. sich einen Namen gemacht haben. Ja, ein paar von ihnen finden sich darunter – wie zum Beispiel Hendrik Thiele und Leo Ritz, die Gründer von Junimond Bestattungen in Berlin, oder Johanna Klug, Sterbe- und Trauerbegleiterin sowie Autorin und Speakerin. Zu Recht, wie ich finde! Sie reichern das Buch um wertvolle Beiträge an. Aber es gibt eben auch noch viele andere Menschen, die vorher noch nirgendwo zu Wort gekommen sind. Und von denen lese ich hier noch ein bisschen lieber, und tauche mit ein in ihre für mich noch völlig unerforschten Geschichten.
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“Wenn ich meinen Antrag auf Freitodbegleitung stellen werde, dann tue ich das nicht mit Traurigkeit. Ich habe einfach genug vom Leben und ich finde es sehr gut, dass es Gesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben gibt, die mir einen sehr ordentlichen Tod in Harmonie und Zufriedenheit ermöglichen.” (Dorothée Mellinghaus / S. 212)
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Doch als ich neugierig mit der ersten Geschichte starte, verpasst es mir einen kleinen Dämpfer. Mir war nicht klar, dass (fast) das gesamte Buch im Interview-Stil geschrieben ist. Und ich persönlich (that’s just me, maybe you like it!) bin kein großer Fan davon. Nach jedem der Interviews hat eine der beiden Autorinnen noch einen anknüpfenden Impuls eingefügt. Diese Impulse gefallen mir gut, weil sie meine Gedanken zu dem gerade gelesenen Gespräch manchmal nach links drehen, oder mich noch ein bisschen weiter darin kreiseln lassen, bevor ich das nächste Kapitel aufschlage.
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Und je mehr Zeilen des Buchs ich aufgesogen und umgeblättert habe, desto besser verstehe ich, warum ich mir weniger Interviews gewünscht hätte.
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Es gibt zwei GrĂĽnde. Zum einen fĂĽhlt es sich fĂĽr mich so an, als könnte ich in die einzelnen Fragen immer nur ausschnittsweise eintauchen. Immer wenn ich nicht nur meine Zehenspitzen in das unbekannte Gewässer gesteckt hatte, sondern mich gerade bis zum Bauchnabel rein getraut habe, dann ist die Antwort zu Ende und fĂĽhrt zu einer neuen Frage. Ich wäre gern noch tiefer rein. Aber dann fange ich wieder mit den Zehen an. Ja, es geht mir zu schnell. Ich wĂĽrde gern noch länger mit den einzelnen Menschen am Kaffeetisch sitzen und ihnen lauschen. Verstehen, was nach den Denkpausen oder einer langen Stille noch aus ihnen herausgekommen wäre, wenn da keine nächste Frage gewesen wäre. Wohin ihre Gedanken abgeschweift wären. Welcher Ausdruck da wohl noch zum Vorschein gekommen wäre.Â
“Was mich selbst verstört hat, war die Tatsache, dass man in einem Herzen zwei so extreme Gefühle gleichzeitig haben kann. Darüber habe ich auch mit meinen Kindern gesprochen: Auf der einen Seite die Trauer, der Schmerz und auf der anderen eine Art Verliebtsein, das einem Antrieb gibt, einen ablenkt. Das war für mich eine ganz extreme Erfahrung, die ich lange versucht habe zu verstehen.” (Sabina Bisceglia / S. 101)
Zum anderen hätte ich gern noch viel mehr von den Autorinnen selbst gelesen. Ich mag ihre Impulse. Ich mag ihre Wortwahl. Ich mag ihre Gedanken zum Thema. Ich hätte gern noch mehr von ihnen erfahren, vielleicht ein Interview von der einen mit der anderen. Vielleicht hätte ich mich einfach auch gern mit ihnen an einen Tisch gesetzt. Ich denke nämlich, wenn man ein solches Buch schreibt, so unfassbar viel Zeit und Energie dafür aufwendet, neue Denkanstöße für Tabuthemen in seine eigene Form zu gießen (und damit dazu beizutragen, dass sie sichtbarer werden), dann hat man sicherlich auch selbst ganz schön viel zu erzählen.
“Bye” ist also nicht das klassische Trauerbuch und genau deshalb kann ich es empfehlen.
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Da sind einige andere Stimmen, einige andere Menschen drin, die sonst in diesem Umfeld nicht zu Wort kommen (oder diese anderen Bücher haben ihren Weg noch nicht zu mir gefunden). Damit erweitern Laura und Julia das Themenfeld rund um Trauer und Tod ganz naturgemäß und das finde ich wundervoll. Ja, es ist genauso ein zu betrauernder Verlust, wenn man sein Haus verliert, sein Heim, seinen Safe Space mit all den Erinnerungsstücken darin. Ja, auf ein Spenderherz zu warten, kann natürlich bedeuten, sich mit dem Abschiednehmen zu beschäftigen, vielleicht sogar schon mal Abschied genommen zu haben und Trauer in sich zu tragen.
Das Buch erweitert den Blick, der selbst in der Trauer-Bubble noch oft gar nicht so weit ĂĽber den Tellerrand hinausgeht. Und jede*r Leser*in wird gar nicht anders können, als zumindest einmal den Blick scharf zu stellen, auf das, was da hinten, weit hinter dem Tellerrand, noch so alles passiert.Â
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Carolin Junge Caro ist ein kreatives Mastermind mit ganz viel Herz, das ganz besonders laut für Bücher schlägt. Da kommen mal locker 50 gelesene Bücher im Jahr zusammen – nur noch getoppt vom Stapel ungelesener Bücher, der einfach nicht aufhören will zu wachsen. Mit ihrem Unternehmen oh boy! und als Fachbuch-Autorin hat sie sich im Branding & Storytelling einen Namen gemacht. Als ausgebildete Trauerbegleiterin (VMN) hat sie außerdem das Büro Ciao gegründet, einen Creative Space in Sachen Trauer. Damit bringt sie frischen Wind und mehr Awareness in die staubtrockene Trauerkultur. Mit ganz neuen, kreativen Trauerprojekten holt sie das Tabu-Thema unter dem viel zu hohen Teppich hervor (Stay tuned!) und bringt Menschen dort mit Tod und Trauer in Berührung, wo es auf den ersten Blick "eigentlich gar nicht hingehört".    |