Caro liest laut: Radieschen von unten - Kinderbuch über Tod und Trauer

Caro liest laut: Radieschen von unten - Kinderbuch über Tod und Trauer

Das Buch: Radieschen von unten von Katharina von der Gathen & Anke Kuhl 

Trauer-Topic: Kinderbuch über Tod & Trauer, kindgerecht und offen sprechen 

Trauer-Barometer: 2/5 

 

Kinderbuch-Tipp: „Radieschen von unten“ – Tod & Trauer kindgerecht erklärt

“Sich die Radieschen von unten ansehen”, sagt das heute noch jemand? Selbst wenn nicht, wissen wir alle was gemeint ist. Und das finde ich schon am Titel dieses Buchs bezaubernd. Die Leichtigkeit, mit der die Autorinnen Katharina von der Gathen und Anke Kuhl in "Raieschen von unten"* die Welt rund um Tod und Trauer aufmachen, verbreitet sich, noch bevor man die erste Seite aufgeschlagen hat. Dazu ist das Buch vieles, was so manches Kinderbuch nicht ist: dick, umfangreich, detailliert, offen und ohne Tabu. Und ich bin mir sicher, so ziemlich jede*r Erwachsene kann dabei auch einiges lernen.

 

Warum schon der Titel tröstet: Humor und Leichtigkeit im Umgang mit Tod

“Das bunte Buch über den Tod für neugierige Kinder”, so heißt es im Untertitel. Und mein erster Eindruck beim Durchblättern bestätigt das allemal. Wow, denke ich! So ein umfangreiches Kinderbuch. Aber ist ja eigentlich auch logisch, denn neugierige Kinder haben viele Fragen. Wenn die mal los sprudeln, versiegt die Fragen-Quelle nicht so schnell. Dieses Buch scheint genau das verstanden zu haben. Außerdem liebe ich es, wenn wir Kindern etwas zutrauen. Und fühle das Buch jetzt schon ganz nach dem Motto: Alles kann, nichts muss. Ich kann es nicht erwarten, meiner eigenen Neugier freien Lauf zu lassen. Kommt mit, wir blättern zusammen rein. 

Sagte sie und kam genau eine Seite weit. Schon beim Vorsatz (also der Innenseite vom Buchcover) bleibe ich minutenlang hängen. Wieso? Weil die gesamte Doppelseite vollgepackt ist mit Text – genauer gesagt sind es Synonyme für “sterben”. Wie passend mit dem Buchtitel. Und ich treffe nicht nur einige alte Bekannte wieder, ich muss dabei auch des Öfteren lachen oder laut “Waaaas?” rufen. Kanntet ihr zum Beispiel “die Gänseblümchen nach oben klopfen” oder “sich den Holzpyjama anziehen”? 

Caro liest laut: Wenn Papa jetzt tot ist, muss er dann sterben?

 

Vom Sterben bis zur Trauer: Das Buch führt durch alle Lebensphasen

Okay, gut, dann gehen wir mal rein. Im Überblick ist das Buch in verschiedene Abschnitte eingeteilt: “Wenn das Leben aufhört”, “Wie geht sterben”, “Beerdigen”, “Trauern” und “Mit den Toten leben”. Unser Themenfeld, die Trauer, hat also einen eigenen Ort bekommen. Natürlich ist aber das gesamte Buch für uns spannend – denn meiner Meinung nach werden Sterben, Beerdigen und Trauern noch viel zu oft getrennt voneinander befragt. Da kommt uns doch ein Buch gerade Recht, das schon den Kleinen (und Größeren) vermittelt, dass das alles zusammen betrachtet werden kann und sollte. Aber mit dem Sterben fängt es ja an. Und dafür finden die Autorinnen eine schöne Einordnung: 

 

“In der Natur kommt es oft vor, dass eine Sache zwei Seiten hat. Sie scheinen gegensätzlich und gehören doch untrennbar zusammen: Es gibt keinen Tag ohne Nacht, keinen Sommer ohne Winter, kein Schlafen ohne Wachsein. Umgekehrt gilt das genauso. Auch Geborenwerden und Sterben gehören untrennbar zusammen. Vielleicht ist das Leben dazwischen genau deshalb so einzigartig und besonders, weil es den Tod als Begrenzung hat.” (S. 17) 

 

Dazu überrascht jede Seite des Buches mit tollen Illustrationen. Und genau wie kein Blatt vor den Text genommen wird, scheint auch die zugehörige Visualisierung ganz unerschrocken zu sein. Warum nicht die aufgezählten Möglichkeiten zu Tode zu kommen auch visuell begleiten? Ein Tabu? Warum? “Wenn’s nun mal so ist”, scheint das Buch immer wieder zu sagen. 

 

Wissen trifft Witz: Warum Lachen über den Tod erlaubt ist

Eines ist klar: “Radieschen von unten” ist alles andere als langweilig. Abwechslungsreich tragen die Autorinnen Fakten verschiedenster Art zusammen, es kommen Personen zu Wort, die in einem passenden Beruf arbeiten – zum Beispiel Tobi, der von seinem Beruf als Krankenpfleger im Altenheim erzählt, oder Sterbe- und Trauerbegleiterin Anja – und es gibt Witzeseiten (Ja, wirklich!). Ein schöner Gedanke, Kindern zu vermitteln: Man darf auch über den Tod lachen. Ernsthafte Themen und Humor schließen sich nicht aus. Sie können sich sogar prima ergänzen. 

 

“Was steht auf dem Grabstein eines Geisterfahrers? Entgegenkommend bis zuletzt.” (S. 101) 

 

Ein Kinderbuch, das Fragen über den Tod ernst nimmt

Im Kapitel “Sterben” fällt mir etwas besonders positiv auf: Die Autorinnen bleiben nicht bei der Wissensvermittlung à la “Was passiert da?” stehen. Sie trauen sich auch, den unsichtbaren Themen eine Gestalt zu verleihen. Ja, wir können mit Kindern auch besprechen, dass es Ängste vor dem Sterben gibt und warum, warum es sterben wollen und sterben können gibt und wie sich das Sterben anfühlen könnte – genau wie das Dabeisein. Das finde ich wahnsinnig schön. So viele Fragen, die keiner hier stellt. Deren Antworten sich aber trotzdem anbieten. Schließlich könnte man sich das ja mal gefragt haben. Und falls nicht, dann gibt es in diesem Buch trotzdem kleine Türen, die sich öffnen und dahinter blicken lassen. 

 

“Manche haben Angst, einen geliebten toten Menschen zu berühren. Die Haut eines Verstorbenen ist wirklich kalt wie eine Fensterscheibe. Es fühlt sich irgendwie nicht richtig an, dass ein Mensch nicht warm und lebendig ist, sondern kalt und tot. Eine Berührung der Hand kann helfen, direkt zu fühlen, was so schwer zu begreifen ist: Dieser Mensch lebt nicht mehr.” (S. 53”) 

 

Gerade hier zeigt sich, das ist wirklich was für Neugierige. Und für die, die spätestens beim Durchblättern neugierig hängen bleiben. Eine Beobachtung, die ich bei Gesprächen über meinen Beruf als Trauerbegleiterin übrigens oft mache: Die Neugier ist da. Manchmal völlig offen und in Form funkelnder Augen und vieler Fragen. Manchmal muss sie erst ein, zwei Vorhänge beiseite schieben. Aber sie kommt (fast) immer raus. Wann hat man schon mal jemanden vor sich, der oder die ganz offen und locker über Tod und Trauer spricht. Das Interesse daran ist jedenfalls groß. 

 

“Es ist ein Trost zu wissen: Ein Abschied von einem Menschen tut deshalb so weh, weil die Liebe zu diesem Menschen besonders groß war.” (S. 60”) 

 

Neugier statt Angst: Kinder wollen über den Tod sprechen

Das Buch ist informativ. Für alle Altersklassen. Und es bricht das Tabu. Das “Pssst, darüber reden wir lieber nicht. Erst recht nicht mit Kindern. Die müssen wir mit sowas Schwerem doch nicht belasten, wenn es nicht unbedingt sein muss.” Ganz besonders gut gefallen mir all die Perspektiven zwischen den Buchdeckeln. Wir lernen nämlich ganz nebenbei, dass es viele Sichtweisen, Wahrnehmungen und auch Präferenzen gibt. Wie es sich anfühlen kann, sich zu verabschieden. Ideen, wie man beerdigt werden möchte. Eine Sarggalerie. Eine “Wie würdest du entscheiden” Liste zur Beerdigung (S. 93). Ganz unterschiedliche Gefühle in der Trauer. Eine Liste “Was helfen kann” (S.109) und selbst Einblicke darin, wie Tiere trauern. 

Und dann, am Ende noch ein klitzekleines Detail. Eine Illustration der Autorinnen, umarmt vom Tod. Und das sagt auf der letzten Seite nochmal: Hallo! Der Tod ist bei uns. Und das ist okay. 

 
Ach, Halt! Das war doch noch nicht das letzte schöne Detail. Auf der nächsten Seite wartet noch eine Kopiervorlage auf die Kinder. Für ein Särglein. Zum Basteln. Jetzt wissen wir ganz genau, was man mit dem nächsten toten Käfer machen könnte. Wenn das nicht lebensnah gedacht und gestaltet ist, dann weiß ich auch nicht.  

 

Hier findest du "Radieschen von unten" von Katharina von der Gathen und Anke Kuhl bei Thalia.*

Hier findest du "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben" von Chimamanda Ngozi Adichie bei Thalia.*

 

 

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Carolin Junge 

Caro ist ein kreatives Mastermind mit ganz viel Herz, das ganz besonders laut für Bücher schlägt. Da kommen mal locker 50 gelesene Bücher im Jahr zusammen – nur noch getoppt vom Stapel ungelesener Bücher, der einfach nicht aufhören will zu wachsen. Mit ihrem Unternehmen oh boy! und als Fachbuch-Autorin hat sie sich im Branding & Storytelling einen Namen gemacht. Als ausgebildete Trauerbegleiterin (VMN) hat sie außerdem das Büro Ciao gegründet, einen Creative Space in Sachen Trauer. Damit bringt sie frischen Wind und mehr Awareness in die staubtrockene Trauerkultur. Mit ganz neuen, kreativen Trauerprojekten holt sie das Tabu-Thema unter dem viel zu hohen Teppich hervor (Stay tuned!) und bringt Menschen dort mit Tod und Trauer in Berührung, wo es auf den ersten Blick "eigentlich gar nicht hingehört".

     

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