Caro liest laut: Notes on Grief von Chimamanda Ngozi Adichie - Vergiss Mein Nie

Caro liest laut: Notes on Grief von Chimamanda Ngozi Adichie

Das Buch: Notes on Grief von Chimamanda Ngozi Adichie 

Trauer-Topic: Verlust eines Elternteils, Trauerprozess, Trauer & Pandemie 

Trauer-Barometer: 4/5 (persönlich & nah) 

 

Trauer ist das GlĂŒck, geliebt zu haben.* So heißt das Buch in der deutschen Version. Und in diesem Fall finde ich sowohl den englischen als auch den deutschen Titel total treffend. Denn das Buch enthĂ€lt Chimamanda Ngozi Adichies Notizen zum Tod ihres Vaters. Ihre Gedanken. GefĂŒhle. Und gleichzeitig trĂ€gt der Inhalt so viel mehr, als man in diesem dĂŒnnen BĂŒchlein vermuten wĂŒrde. Chimamanda Ngozi Adichie beschreibt den Verlustschmerz nach dem Tod ihres Vaters, ihre Suche nach einem Umgang mit dem neuen Jetzt ohne ihn, das Zurechtfinden in der Trauer zwischen den Kontinenten inmitten einer weltweiten Pandemie – bis zum Rand angefĂŒllt mit Liebe fĂŒr diesen besonderen Menschen in ihrem Leben. 

Trauer in der Pandemie: Abschiednehmen zwischen Kontinenten und Grenzen

“Notes on Grief” ist ein sehr intimes Buch. Die Autorin beschreibt darin nĂ€mlich ihr ganz persönliches Erleben und Begreifen nach dem Tod ihres Vaters. Sie öffnet uns die TĂŒren in das Abschiednehmen und den Trauerprozess ĂŒber LĂ€ndergrenzen und Kontinente hinweg. Denn Chimamanda Ngozi Adichie harrt nach dem Tod ihres Vaters wochenlang in Washington aus, bis sie nach Nigeria reisen kann, um von ihm Abschied zu nehmen. Nicht selbstgewĂ€hlt. Es ist die Zeit der Pandemie. Eine Zeit, die den Großteil dessen, wie unsere Welt einmal funktionierte, eingeschrĂ€nkt hat. Die uns gezwungen hat, neue Wege fĂŒr Gemeinschaft und Beisammensein zu finden. In diesem Buch nimmt uns Adichie mit in ihre ganz eigene Erfahrungswelt, nicht nur mit der Trauer, sondern mit der Trauer in der Pandemie-Zeit. Wie wirkt sich die Entfernung zwischen der Familie auf die eigene Trauer aus? Wie fĂŒhlt sich Sehnsucht dann an? Wo verortet man die Erinnerungen, sind sie ĂŒberall auf der Welt abrufbar oder haben sie ein Zuhause? 

 

Intimer Blick auf Verlust: Persönliche Trauer statt allgemeiner Ratgeber

All das ist – wie es in der Trauer eben so ist – ein rein subjektives Erleben. Dementsprechend fĂŒhlt sich Notes on Grief nicht an, als wĂŒrde man eine allgemeingĂŒltige Abhandlung ĂŒber Trauer lesen. So ist das Buch wahrscheinlich auch nicht gedacht. Das Buch ist Trauerverarbeitung in Schriftform. Ein persönlicher, schmerzlicher Blick in die vielen Gesichter der Trauer. 

 

“I wince now at the words I said in the past to grieving friends. ‘Find peace in your memories,’ I used to say. To have love snatched from you, especially unexpectedly, and then to be told to turn to memories. Rather than succour, my memories bring eloquent stabs of pain that say, ‘That is what you will never again have.’” 

 

Zur gleichen Zeit enthĂ€lt das Buch einige, wahnsinnig kluge Gedanken, die Adichie wie nebenbei in ihr persönliches Erleben einstreut. Immer wieder teilt sie SĂ€tze, die mich innehalten und nach Luft schnappen lassen. Wie klug gedacht. Wie schön formuliert. Wie ĂŒbergreifend richtig und wichtig.  

 

“Part of grief’s tyranny is that it robs you of remembering the things that matter.” (S. 47) 

 

Erinnerung und Schmerz: Wie Adichie Trauer als Prozess begreift

In den meisten FĂ€llen gehen persönliches Erleben und kluge Gedanken bei Adichie Hand in Hand. So viele Dinge, die ich ĂŒber die Trauer schon weiß, sehe ich hier in Buchstaben, Worte und SĂ€tze gepackt. Aber nicht als Lehrmaterial. Sondern aus tiefster Trauer aufgeschrieben – und damit von ganz anderer Seite bestĂ€tigt. Als hĂ€tte jemand die LehrsĂ€tze der verschiedenen Trauerphasen dick unterstrichen und mit persönlichen Notizen ergĂ€nzt. Ich fĂŒhle mich, als wĂŒrde mich jemand in der Trauerbegleitung ganz tief in seine Welt hineinlassen. Und ich staune ĂŒber all diese Offenheit, diese Reflektiertheit und fĂŒhle die schmerzlichen Worte, die in wunderschönen Rahmen aus Buchstaben festgehalten wurden. Hier, um sie nicht zu vergessen. 

 

“I am afraid of going to bed and of waking up; afraid of tomorrow and of all the tomorrows after. I am filled with disbelieving astonishment that the mailman comes as usual and that people are inviting me to speak somewhere and that regular news alerts appear on my phone screen. How is it that the world keeps going, breathing in and out unchanged, while in my soul there is a permanent scattering?” (S. 12) 

 

Evolutionsbiologie der Trauer: Warum Verlust zum Menschsein gehört

“Notes on Grief” bespricht aber auch ein Thema an, das ich persönlich in meinem Lernen ĂŒber Trauer unglaublich spannend fand: die evolutionsbiologische Perspektive auf Trauer. Welchen Sinn hat Trauer fĂŒr uns Menschen eigentlich? Warum hat sich Trauer evolutionĂ€r gehalten, wo sie uns doch augenscheinlich schwĂ€cht? Und da kommt der deutsche Titel des Buchs wieder ins Spiel. Trauer ist der Wermutstropfen. DafĂŒr, dass wir Menschen soziale Wesen sind. Wesen, die Verbindungen eingehen und Liebe fĂŒreinander empfinden. Die Trauer ist ein Side Effect davon. Eine BestĂ€tigung dessen, wie stark die GefĂŒhle waren und sein können und ein langsamer Prozess des Begreifens und neu Sortierens dieser Verbindung. Trauer bestĂ€tigt also das GlĂŒck, geliebt zu haben. 

 

“A friend sends me a line from my novel: ‘Grief was the celebration of love, those who could feel real grief were lucky to have loved.’ How odd to find it so exquisitely painful.” S. 61f.) 

 

Das Buch ist ein sehr intimer Einblick in das Innere der Autorin. Eine sehr ehrliche und rohe Auseinandersetzung mit ihrem Schmerz, mit all den Facetten, die in ihr auftauchen. Mit ihrem vorherigen Selbst und dem Selbst, das durch und nach dem Verlust erscheint. Sie lĂ€sst uns daran teilhaben, wie sie diese neuen, alten Gedanken und Perspektiven ĂŒbereinzubringen versucht. Und sehr warmherzig nebeneinander existieren lĂ€sst. 

Immer wieder ist es schmerzhaft, die so ehrlichen Gedanken von Adichie zu lesen. Weil sie es versteht, sie mit ihren Worten spĂŒrbar zu machen. Und weil die Liebe und Verbindung zu ihrem Vater in allem mitschwingt. “Notes on Grief” ist ein wahrlich wunderschönes Buch ĂŒber Trauer. So berĂŒhrend und nah, dass es wehtut und wunderschön zugleich ist, an Chimamanda Ngozi Adichies GlĂŒck, geliebt zu haben, teilhaben zu dĂŒrfen. 

 

Hier findest du "Notes on Grief" von Chimamanda Ngozi Adichie bei Thalia.*

Hier findest du "Trauer ist das GlĂŒck, geliebt zu haben" von Chimamanda Ngozi Adichie bei Thalia.*

 

 

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Carolin Junge 

Caro ist ein kreatives Mastermind mit ganz viel Herz, das ganz besonders laut fĂŒr BĂŒcher schlĂ€gt. Da kommen mal locker 50 gelesene BĂŒcher im Jahr zusammen – nur noch getoppt vom Stapel ungelesener BĂŒcher, der einfach nicht aufhören will zu wachsen. Mit ihrem Unternehmen oh boy! und als Fachbuch-Autorin hat sie sich im Branding & Storytelling einen Namen gemacht. Als ausgebildete Trauerbegleiterin (VMN) hat sie außerdem das BĂŒro Ciao gegrĂŒndet, einen Creative Space in Sachen Trauer. Damit bringt sie frischen Wind und mehr Awareness in die staubtrockene Trauerkultur. Mit ganz neuen, kreativen Trauerprojekten holt sie das Tabu-Thema unter dem viel zu hohen Teppich hervor (Stay tuned!) und bringt Menschen dort mit Tod und Trauer in BerĂŒhrung, wo es auf den ersten Blick "eigentlich gar nicht hingehört".

     

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