Was unter der Wut steckt - Vergiss Mein Nie

Was unter der Wut steckt

Trauer und Wut?

Trauer ist ein ganz starker Gefühlszustand, der das Leben deutlich bestimmt und dazu auch soziokulturell stark reglementiert wird. Obwohl der Wunsch nach einer Veränderung des Umgangs mit Tod und Trauer in Deutschland da ist, sind viele Trauernde dann aber doch mit konservativen Vorurteilen und Verhaltensregeln konfrontiert. „Über Tote spricht man nicht schlecht“ ist ein Glaubenssatz, der vernünftig klingt, denn im Prinzip sollte man auch über Lebende nicht schlecht reden.Wenn sich dieser Satz aber verselbstständigt in etwas wie „Ich darf nicht wütend sein“ oder „Ich darf nicht einmal daran denken, wütend zu sein“ ist das eine innere Maßregel, der zum einen nicht funktioniert und zum anderen ein Gefühl wegdrückt, in dem unheimlich viel Energie steckt. Wut und Trauer, das gehört oft zusammen, eben nicht nur im klassische Wut-Trauerfall Suizid, wo der Verlustschmerz sich abwechselt mit dem Unglauben, dass der Verstorbene sich von einem nicht anvertrauen oder sich helfen lassen wollte.

Es ist eine klare Abrechnung

Jeder Verlust trägt ein Wutpotential in sich. Es ist die klare Definition einer Summe des Vorher zum Nachher. Und wenn da ein Minus steht, weil nun jemand „verloren“ ist, dann fühlt sich der Trauernde unfair behandelt, vom Schicksal und aber auch vom Verstorbenen, der ja nun einfach weg ist und einen dadurch erst in diese Situation gebracht hat. Das muss objektiv überhaupt nicht stimmen, ist aber als Gefühl in dem Moment wahr, in dem es gefühlt wird. Und dadurch hat die Wut auch eine Daseinsberechtigung. Da hilft auch kein Ignorieren oder noch schlimmer: weglächeln.

Darf man auf Verstorbene wütend sein?

Wut ist ist im Trauerkontext gesellschaftlich „erlaubt“, sobald es sich um ein Schuldthema handelt: Ein Gewaltverbrechen mit Todesfolge – wer hier nicht wütend ist, fällt auf. Oder ein Behandlungsfehler? Die Schuld am Verlust ist hier einfach zu vergeben. Das tut erst mal gut, denn es gibt offenbar einen Verantwortlichen. Der Effekt hält aber nur kurz an, denn diese Wut ist so grell, dass sie eventuell die Trauer überdecken kann. Dann hält sie den Trauernden weiter am Laufen, aber nur solange der weiter wütend ist. Ein Abbau der Wut oder ein Verzeihen wäre in diesem Zustand gefühlt die Aufgabe des Lebens. Der Kampf gegen die Schuldigen hält den Trauernden in der Zwischenwelt des „nicht wahrhaben-Wollens“ ein Verzeihen ist dann das innere Eingeständnis dass der andere für immer fort ist.Es ist einfach, Schuld zu geben, wo klare Fehler passiert sind. Anders sieht es aus, wenn eine Mutter ihr ungeborenes Baby in der Schwangerschaft verliert, einfach so, ohne sichtbaren Grund. Sie wird möglicherweise die Schuld bei sich suchen, wütend sein auf ihren Körper, der dem Kind kein gutes Zuhause war. Die Wut richtet die Trauernde nun gegen sich selbst.

Wut auf Unterstützer*innen

In der Trauer zu helfen, ist für viele Menschen eine Gratwanderung. „Man möchte ja auch nicht nerven“, oder „aus Versehen alles noch schlimmer machen“. Oder „die ganze Gefühlswelt abbekommen“. Dass sich Wut gegen die Helfer*innen richtet, ist ein besonderes Phänomen, das man auch im Rettungswesen beobachten kann. Vielleicht ist es auch hier so, weil eine Inanspruchnahme der Hilfe, gehen wir einmal davon aus, dass sie auf Augenhöhe und mit einer guten Intention angeboten wurde, einem Eingeständnis gleicht, dass man den Tod der geliebten Person akzeptiert. Außerdem kann Wut auch anzeigen, dass man die Normalität, aus der der Helfer spricht, gar nicht ertragen kann oder eben neidisch ist, dass dieser vom Schicksalsschlag verschont bliebt und sogar noch Energie hat, zu unterstützen.Ein Zeichen, dass man wieder kämpfen kann.

Wut gehört zur Trauer dazu, weil der Tod gefühlt ein Ungleichgewicht schafft, das sich erst wieder einpendeln muss. Die Wut kann sich gegen den Verstorbenen richten, gegen Helfer, gegen sich selbst. Sie ist meist legitim, auch wenn sie das Bild des liebevollen, still gedenkenden Trauerschmerzes zerstört. Trauer ist auch laut, je nach Kultur wird das auch praktiziert, man denke nur an die Klageweiber. (Warum darf man eigentlich bei einer Geburt laut schreien, um ein Leben auf die Welt zu bringen, aber nicht, wenn es wieder geht?)

Wut weckt Energie.

Und diese wird gebraucht, um trauern zu können, um diesen Zustand überhaupt überstehen zu können. Wut ist ein Zeichen, dass man wieder für sich selbst kämpfen kann, dass man lebt.

Aber: Wut piekst nicht nur, Wut lässt auch aufblühen.

Wut ist erlaubt

Die Wut einfach wegzudrücken, das funktioniert nicht. Wichtig ist, anzuerkennen, dass hinter und unter der Wut oft ganz andere Gefühle stecken. Viele Bestatter kennen das von ihren Gesprächen, mit scheinbar aggressiven Angehörigen, bei denen sich herausstellt, dass sie einfach eine riesengroße, durch den Todesfall ausgelösten Existenzangst haben. Oder Scham, weil das Kind ganz unchristlich Suizid begangen hat. Zu viel Schmerz, oder simple Überforderung. Das Beispiel zeigt, dass es sich lohnt, zuzuhören, was die Wut sagen will.

Zwischen „Rot-sehen“ und „Abdampfen“

Denn Wut muss raus, wie ein Überdruck im Kochtopf nimmt sie sonst alle Bereiche ein. Man sieht „rot“. Gleichzeitig ist sie eine Art Mangelsymptom, das bedeutet, die Wut zeigt an, dass der Trauernde etwas braucht. Ein Beispiel: jeder kennt es, im englischen gibt es sogar ein Wort dafür „Hangry“ sein, also Hungrig und Angry (=Agressiv) zu sein, das ist einfach zu lösen, da braucht man etwas zu essen. Anders sieht es aus, wenn Wut entsteht, weil man sich bedroht fühlt, vielleicht eine große Todesangst entwickelt hat. Dann braucht man eine Wissenskompetenz, die einem die Angst erklärt und gleichzeitig ganz viel Halt und Stabilität, also zum Beispiel ein Besuch beim Hausarzt und eine Trauergruppe, in der Menschen ihre Erfahrungen in Bezug auf ihre Todesangst teilen.

Wut ist eine Art Mangelsymptom

Die Wut kommt erst einmal mit beeindruckender Wucht an, es ist aber wichtig, zu verinnerlichen was da alles drunter steckt, und diese Bedürfnisse zu stillen. Ist das erkannt, lösen sich oft auch die starken Gefühle und eine dynamische Entwicklung der Trauer ist möglich. In der Trauerbegleitung helfen wir dabei, indem wir die Wut spielerisch greifbar machen. Denn ist sie einmal sichtbar gemacht, kann man mit ihr umgehen, mehr über sie erfahren oder sie aus dem Blickwinkel räumen. Das geht zum Beispiel indem man mit Knetmasse arbeitet, oder eine Wutkapsel ausfüllt.

Mit der Wut umgehen: Wutkapsel & das "Wut tut gut"-Bundle

Die Wutkapsel ist eine Faltvorlage, die Mithilfe des wütenden Stifts mit Gedanken, mit „Wut“ gefüllt wird und später dann zu einer Pyramide gefaltet wird, so dass die Wut dort sicher eingeschlossen ist. Nun kann diese Kapsel symbolisch verbrannt oder beerdigt werden, sie kann ein neues Zuhause außerhalb des Körpers bekommen oder man kann aktiv mit ihr arbeiten, die Kapsel befragen, was sie braucht. Und als Set zusammen mit Trauerklotz und Trauertagebuch findest du sie auch hier.

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