FĂĽr jemanden in Trauer kann eine Umarmung einen groĂźen Unterschied machen. Den Unterschied zwischen dem GefĂĽhl in den Abgrund zu stĂĽrzen oder an der Klippe zum Halten zu kommen. Zwischen ertrinken oder Luft holen. Zwischen erfrieren oder sich aufwärmen. Zwischen sich komplett alleine fĂĽhlen oder gehalten werden.Â
Doch wie mache ich das? Wie umarme ich richtig? So, dass sich eine Umarmung nicht halbgar oder wie ein Würgegriff anfühlt? Warum umarmen wir uns überhaupt? Wozu ist das gut?


Warum hilft also Umarmen beim Trauern – aus wissenschaftlicher Sicht?Â
Die heilende Wirkung einer Umarmung ist kein Zufall. Forschungen zeigen, dass BerĂĽhrung die AusschĂĽttung von Oxytocin, dem sogenannten „Kuschelhormon“, fördert.  Das Hormon wird schon in den allerersten Wochen unserer Entwicklung ausgeschĂĽttet. Noch vor der Ausbildung der inneren Organe – vor der 9. Schwangerschaftswoche - entwickelt sich unser Tastsinn und löst körperliche Reaktionen aus. In der Entwicklung im Mutterleib registrieren wir durch die Lanugo Behaarung (feine Härchen am ganzen Körper des Fetus) alle Fremd- und Eigenbewegung. Jede dieser Bewegungen regt das Wachstumshormon Oxytocin an. Damit gehören BerĂĽhrung und die Reaktion darauf zu einer unserer ersten positiven Körperempfindungen – nämlich wachsen.Â
Mit BerĂĽhrung, mit einer Umarmung verbinden wir also instinktiv Wachstum, Geborgenheit, Entwicklung.Â
Wer trauert leidet nicht nur seelisch, sondern auch körperlich unter Symptomen wie Schlaflosigkeit, Verspannungen, Appetitlosigkeit, Herzrasen. NatĂĽrlich gibt es dafĂĽr Medikamente, aber das radikalste und effektivste Medikament haben wir sozusagen immer bei uns: Eine wirklich gute Umarmung. Diese Umarmung ist wie eine Hausapotheke. Mit der Umarmung schĂĽttet der Körper das Oxytocin aus und schon wird die Atemfrequenz ruhiger, der Blutdruck sinkt, die Blutgefäße weiten sich, StressmolekĂĽle werden verdrängt, die Muskulatur entspannt sich. Oxytocin fördert auch das Gedächtnis und wirkt sogar wie ein Schmerzmittel.Â
Trauen wir uns! Trauen wir uns, einander zu umarmen. Gerade in Momenten der Trauer vermittelt eine Umarmung „Hey, du bist nicht allein! Ich sehe deinen Schmerz. Ich kann ihn zwar nicht wegmachen, aber ich bin bei dir“Â
Nun wissen wir, dass umarmen wirklich eine gute Sache ist, aber wie in aller Welt geht eigentlich gutes Umarmen?
Verschiedene Arten von Umarmungen und ihre Wirkung
Wer kennt sie nicht – die halbgare Umarmung, die sich anfühlt, wie „Na gut, wir umarmen uns jetzt mal, aber eigentlich möchte ich ganz schnell wieder loslassen.“ Wir haben verlernt, Nähe zuzulassen und damit die Gefühle, die dabei vielleicht hochkommen. 
Deswegen nähern wir uns doch einfach mal Schritt für Schritt:


1. Entscheide dich ganz bewusst für eine Umarmung. Dabei fühle, ob du dein Gegenüber wirklich umarmen möchtest. Gibt es da einen leisen Zweifel, ein „vielleicht“, dann lass es und sage z.B. freundlich „Eine Umarmung ist mir im Moment zu viel. Darf ich dir einfach die Hand geben?“

2. Wenn du dich für eine Umarmung entscheidest, dann versuche dich ganz auf den Moment einzulassen. Vielleicht hilft es dir, dabei die Augen zu schließen, um besser spüren zu können. Spüren, wie dein Gegenüber atmet, wie fest der Druck der Umarmung ist. Spannst du deine Schultern an, kannst du lockerlassen? Spürst du die Wärme deines Gegenübers?
3. Wer macht den ersten Schritt? Wirst du umarmt oder bist du diejenige, die eine Umarmung anbietet? In meiner Praxis erlebe ich oft folgendes, wenn ich eine Umarmung anbiete: Trauernde tätscheln/streicheln mir den RĂĽcken, als wollten sie mich beruhigen. Ich spĂĽre ihre Anspannung in den Schultern und ihren angehaltenen Atem. Das ist der Moment, in dem ich sage: „Das ist deine Umarmung. Du darfst dich fallenlassen. Ich bin jetzt in diesem Moment fĂĽr dich da.“ Sobald ich das gesagt habe, wird die Atmung der Trauernden ruhiger, die Schultern senken und entspannen sich. Manchmal kommen auch Tränen. Das ist dann nicht schlimm, sondern richtig gut. GefĂĽhle dĂĽrfen sich endlich zeigen und sind in Sicherheit. Umarmungen sind unser Sicherheitsnetz, unser doppelter Boden fĂĽr ĂĽberwältigende GefĂĽhle. GefĂĽhle wollen umarmt werden. 

Mit einer Umarmung darf die Trauer mit all den GefĂĽhlen, die sie im Rucksack hat, auf den SchoĂź. Sie muss den Rucksack nicht mehr ganz alleine die ganze Zeit tragen.Â
Was tun, wenn Trauernde keine Umarmung möchten?
Es ist wichtig, auf die Signale des GegenĂĽbers zu achten. Nicht jeder möchte in seiner Trauer umarmt werden. Deswegen frag einfach. Denn schon die Frage kann wie eine virtuelle Umarmung sein. Trauernde fĂĽhlen sich gesehen und respektiert. Oft fragen Trauernde mich dann bei der nächsten Sitzung, ob ich sie mal umarmen könnte. Das ist mutig und immer ein Schritt nach vorn.Â
Zum Schluss ein Appell
Ein Appell fĂĽr mehr Umarmungen. Sei es: Bauch an Bauch. Wange an Wange. Fest und umschlungen. Zart und sanft wie ein lauer FrĂĽhlingswind. Kurz und intensiv. Lang und zärtlich. Schweigend und einig. Lachend und quatschend. Wie auch immer. Seid mutig! Umarmt, was das Zeug hält, denn Umarmungen bringen uns zueinander und haben das Potential, dass wir uns wieder heiler fĂĽhlen als vorher und ganzer und gemeinsamer!Â
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Jessica Zeckert Jessica umarmt auch privat sehr gern, z.B. ihren Mann, mit dem sie zusammen in der eigenen kunstaffinen Eventagentur arbeitet. Sie ist aber auch Heilpraktikerin auf dem Gebiet der Psychotherapie, Berührungstherapeutin und professionelle Trauerbegleiterin (VMN). Ihre beruflichen und persönlichen Erfahrungen – von Johannesburg über London bis Berlin – haben sie tief geprägt. Nach vielen Abschieden, sowohl durch Umzüge, Jobwechsel und durch mehrere Todesfälle, ist ihr klar geworden, dass ihre wahre Leidenschaft in der Begleitung von Menschen liegt, besonders in der Trauer. Erste Erfahrungen als Trauerbegleiterin hat sie bei den Maltesern gemacht, um dann ihre Erfahrungen noch mit einer Ausbildung hier bei Vergiss mein Nie zu vertiefen und zu erweitern. Ein zentraler Aspekt ihrer Arbeit ist der gezielte Einsatz von Berührung in Trauerprozessen. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Berührung als heilsames Element in der Trauerarbeit zu etablieren und das Trauern als natürlichen Bestandteil in unserer Gesellschaft zu stärken.    |