Trauer ist chaotisch, verwirrend, düster – und gleichzeitig eine der tiefsten, menschlichsten Erfahrungen überhaupt. In meiner Arbeit als Trauerbegleiterin durfte ich viele Menschen auf ihrer ganz eigenen Achterbahnfahrt der Gefühle begleiten. Und dabei habe ich festgestellt: Es sind nicht immer die großen Gesten, die zählen. Manchmal ist es das leise Nicken im richtigen Moment. Oder das ehrliche „Ich weiß auch nicht, was ich sagen soll.“
Klar, es gibt die klassischen „Do’s & Don’ts“, die man aus Ratgebern oder gut gemeinten Gesprächen kennt: „Sei einfach da.“ (Aber wie lange?) „Hör zu, ohne zu antworten.“ (Und was, wenn es mich sprachlos macht?) „Sag bloß nicht: ‚Du musst loslassen.‘“ (Okay, aber was dann?)
Diese Basics sind wichtig – keine Frage. Aber sie kratzen oft nur an der Oberfläche. Die Trauer ist ein Ozean, und wir reden über Paddelboote. Zeit also, die Schwimmweste zu holen und etwas tiefer zu tauchen – mit einer Prise Humor, einer Portion Wissenschaft und ganz viel Herz.
Do's in der Trauer
Akzeptiere die ständige Veränderung des Trauerprozesses
Trauer ist keine Excel-Tabelle mit klaren Spalten für „Schmerz“, „Heilung“ und „Abgehakt“. Sie ist eher wie ein unberechenbarer Wetterbericht: Heute Sonnenschein, morgen emotionaler Monsun. Das Wichtigste, was du tun kannst? Flexibel bleiben. Heute ist vielleicht Tee und Weinen auf dem Sofa angesagt, morgen ein Spaziergang mit Musik. Und übermorgen? Wer weiß das schon. Geh einfach mit – auch wenn der Kurs unklar ist.
Freu' dich über Widersprüche
Trauernde Menschen lachen. Ja, wirklich. Und das bedeutet nicht, dass sie „drüber hinweg“ sind. Man kann gleichzeitig traurig sein *und* sich über eine kitschige Romcom freuen. Der Mensch ist ein Multitasking-Wesen der Gefühle – und Trauer ist oft ein einziges „Sowohl-als-auch“. Feiere das. Halte den Raum, auch wenn er verwirrend ist.
Nutze die Kraft von kleinen Ritualen und Zeichen
Nicht jedes Ritual braucht Kerzen, Klangschalen und Mönchschor. Manchmal reicht eine Tasse Tee zur selben Uhrzeit. Oder ein Spaziergang an „ihrem“ Baum. Oder ein Lied, das still im Hintergrund läuft. Diese kleinen Rituale sind oft wie emotionale Anker. Frag nach: Gibt’s etwas, das du heute brauchst? Oder: „Darf ich dir ein kleines Erinnerungsritual schenken?“ Das wirkt Wunder – ohne Hokuspokus.
Genieße die Stille
Reden ist Silber, Schweigen ist manchmal Gold mit Samtfutter. Die Stille in einem Trauergespräch wirkt oft wie ein geschützter Raum, in dem sich Gefühle sortieren dürfen. Keine Angst davor. Du musst nicht immer trösten, erklären, analysieren. Manchmal reicht dein „Miteinander-Sein“ – wortlos und warm.
Don’ts & No Go's in der Trauer
Vermeide es, Trauernde als „stark“ zu loben. „Du bist so stark!“ klingt wie ein Kompliment, ist aber manchmal ein verkleideter Druck. Trauernde dürfen zerbrechlich sein. Sie dürfen sich hilflos fühlen. Und sie müssen sich nicht zusammenreißen, nur weil das Umfeld damit besser klarkommt. Stärke zeigt sich auch in Tränen, in Rückzug, in Selbstfürsorge. Lass diese Stärke zu.
Erwarte keine Dankbarkeit
Du bist da. Du gibst. Du begleitest. Und vielleicht bekommst du: Schweigen. Oder Gereiztheit. Oder gar nichts. Und das ist okay. Trauernde Menschen leben im Ausnahmezustand. Da ist die Dankbarkeit manchmal im Tiefschlaf. Sie kommt vielleicht später zurück. Oder nicht. Sei trotzdem da – bedingungslos.
Es gibt tausend Arten zu trauern. Keine davon ist "richtig" oder "falsch"
Einige Menschen posten emotionale Texte auf Social Media. Andere backen obsessiv Bananenbrot. Manche reden viel, andere schweigen. Trauer ist individuell wie ein Fingerabdruck. Sie hat keine Etikette, keinen Dresscode. Wer trauert, darf das tun, wie es sich richtig anfühlt – auch wenn es von außen „komisch“ aussieht.
Versuche nicht, die Erinnerung zu „reparieren“
„Sie hätte gewollt, dass du lachst.“ Ja, vielleicht. Aber gerade ist einfach alles doof. Gut gemeinte Sätze können sich anfühlen wie Radiergummis auf der Seele. Erinnerungen dürfen schmerzen. Der Verlust darf präsent sein. Du musst nichts schönreden. Und du darfst das Loch lassen, das der Mensch hinterlassen hat.
Meide das Thema nicht, nur weil es unbequem ist
Manche Menschen wechseln das Thema, wenn der Name der verstorbenen Person fällt – als sei sie Voldemort. Aber Erinnerung ist heilsam. Sprich über sie. Frag nach Geschichten. Schau dir Fotos an. Wenn du schweigst, fühlt sich der Verlust noch unsichtbarer an. Und das ist oft das Schmerzhafteste.
Trauer ist keine Checkliste mit Häkchen. Sie ist ein Prozess, der in Schleifen kommt, in Wellen, in leisen Tönen. Als Begleiter:in darfst du lernen, das Nicht-Wissen auszuhalten. Du brauchst keine perfekten Antworten – du brauchst ein offenes Herz, ein offenes Ohr und manchmal auch einfach nur einen Platz neben der trauernden Person.
Erlaube dir, unsicher zu sein. Und erlaube der anderen Person, alles zu fühlen. Das ist kein Patentrezept. Aber es ist vielleicht das Menschlichste, was du tun kannst.
Das größte Geschenk, das du machen kannst? Lass den anderen "sich selbst" sein. Ohne Maske. Ohne Stärke. Ohne Optimierung oder Learnings. In aller Zartheit. In aller Kraft. In aller Trauer. Das hilft.
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Anemone Zeim Anemone Zeim ist Gründerin von Vergiss Mein Nie und schreibt hier über das, was bleibt, wenn das Leben einen Punkt macht – oder manchmal nur ein Komma. Sie bewegt sich elegant zwischen klugen Fußnoten, wildgewordenen Gedanken und poetischen Bauchgefühlen. Ihre Texte reichen von tiefgründig bis augenzwinkernd, von philosophisch bis frech. Was sie erlebt, entdeckt oder einfach absurd findet, landet oft zwischen den Zeilen – und manchmal mitten ins Herz. Anemone glaubt daran, dass Trauer mehr kann als traurig sein – nämlich verbinden, verwandeln und manchmal sogar ein kleines bisschen glitzern. |