Trauer und Weihnachten: Ein Fest zwischen Schmerz und Erinnerung - Vergiss Mein Nie

Trauer und Weihnachten: Ein Fest zwischen Schmerz und Erinnerung

 

Weihnachten und heilige Feste anderer Religionen sind oft große Herausforderungen für Trauernde: Die Welt leuchtet, feiert und beschenkt sich, während das eigene Herz in Trauer verpackt bleibt. Wie kann man diese Zeit gut durchleben?  

 

Herausforderungen der Weihnachtszeit fĂĽr Trauernde

Die Weihnachtszeit stellt Trauernde vor eine Vielzahl von praktischen und emotionalen Fragen. Zum einen ist die Vorweihnachtszeit oft eine Herausforderung, mit ihren gesellschaftlichen Terminen und den vielen sinnästhetischen Eindrücken, die schmerzhafte Erinnerung an eine Zeit wecken können, in der der Verstorbene noch da war: Der Geruch von Lebkuchen und Glühwein, typische Weihnachtsmusik, Weihnachtslieder singen, die Weihnachtsbeleuchtung und natürlich typische Grußphrasen, die man sich zuwirft. Weihnachten ist ein so sozial genormtes Event, dass es oft vom Umfeld aus gesehen die Traurigkeit einzelner Personen überstrahlt. Zum anderen ist diese Zeit so geprägt von Eindrücken, dass einem besonders auffällt, was ein Jahr zuvor noch heile war. Wer könnte das genau von einem 24. in einem anderen Monat sagen? Durch die gesellschaftliche Fokussierung, und das gilt auch für Ramadan, Chanukka und andere Feste und die vielen dazugehörigen Rituale gibt es viele „Triggerpunkte“, die uns emotional abstürzen lassen können.  

 

Wie gestaltet man Weihnachten, wenn ein Mensch fehlt?

Wie gestaltet man den Heiligabend, wenn der wichtigste Mensch fehlt? Wo feiert man – zu Hause, wo alles an den Verlust erinnert, oder doch lieber bei Freunden oder Verwandten? Jede dieser Entscheidungen birgt Herausforderungen, und die Antworten sind für jeden individuell unterschiedlich. 

 

Wo feiern an Weihnachten in der Trauer?

Für viele stellt sich die Frage, ob man überhaupt zu Hause feiern soll oder vielleicht den Ort wechseln möchte. Das eigene Zuhause ist voller Erinnerungen an vergangene Weihnachten, und für manche kann es erdrückend sein, sich diesen Erinnerungen zu stellen. Ein Ortswechsel, etwa zu Freunden oder Verwandten, kann helfen, der gewohnten Atmosphäre zu entfliehen. Andere wiederum ziehen es vor, zu Hause zu bleiben, weil es sich vertraut und trotz allem sicher anfühlt. Es gibt hier kein Richtig oder Falsch – wichtig ist, dass man sich mit der Entscheidung wohlfühlt.

 

Wie den Heiligabend gestalten?

Die Gestaltung des Abends ist ebenfalls eine Herausforderung. Soll man den üblichen Ablauf beibehalten, um eine gewisse Normalität zu bewahren, oder soll man bewusst alles anders machen? Manchmal hilft es, bestimmte Traditionen zu bewahren, weil sie ein Gefühl von Kontinuität und Halt geben. Andere entscheiden sich dafür, alles anders zu machen – vielleicht ein neues Essen zu kochen, Filme zu schauen oder Spiele zu spielen. Wichtig ist, dass es keine Erwartungshaltung gibt, sondern dass man auf die eigenen Bedürfnisse hört.

 

Tischordnung und Gedenken an den Verstorbenen: Soll man für den verstorbenen Menschen mitdecken?

Dies ist eine sehr persönliche Entscheidung. Einige Trauernde finden Trost darin, den Platz am Tisch zu reservieren oder ein Foto des geliebten Menschen aufzustellen. Andere empfinden dies als zu schmerzhaft und möchten den leeren Platz lieber bewusst auslassen, um sich nicht ständig der Abwesenheit stellen zu müssen. Beides ist in Ordnung – es kommt darauf an, was sich für einen selbst stimmig anfühlt.

 

Darf man an Weihnachten feiern trotz Trauer?

Diese Frage stellen sich viele Trauernde: Darf ich überhaupt feiern? Darf ich lachen und fröhlich sein, obwohl jemand fehlt? Die Antwort lautet: Ja, du darfst. Trauer und Freude schließen sich nicht aus – sie können nebeneinander existieren. Es ist vollkommen in Ordnung, Momente der Freude zu empfinden, auch wenn der Schmerz immer noch präsent ist. Diese Momente der Freude sind sogar wichtig, weil sie zeigen, dass es weiterhin Licht im Leben gibt.

 

Zum Friedhof gehen – ja oder nein?

Manche Trauernde finden Trost darin, an Weihnachten zum Friedhof zu gehen und dem Verstorbenen nahe zu sein. Ein Besuch kann ein Ritual des Erinnerns und der Verbundenheit sein. Andere wiederum empfinden es als zu schmerzhaft und bevorzugen es, dem Verstorbenen auf eine andere Weise zu gedenken – etwa zu Hause mit einer Kerze oder einem speziellen Ritual. Auch hier gibt es kein richtig oder falsch. Wichtig ist, dass die Entscheidung individuell getroffen wird und sich richtig anfühlt. 

 

Die Weihnachtszeit kann Gefühle von Einsamkeit und Verlust besonders intensivieren. Wenn wir den Stuhl sehen, der dieses Jahr leer bleibt, oder die Traditionen erleben, die einst geteilt wurden, breitet sich eine schmerzhafte Leere aus. Die Feiertage sind durchzogen von Erinnerungen – an gemeinsames Backen, an liebevolle Geschenke, an die Freude, die einst in den Augen des Verstorbenen aufblitzte. Das Bild der vermeintlich perfekten, glücklichen Familie prallt auf die eigene Realität. Diese Diskrepanz führt oft zu einer tiefen inneren Verletzlichkeit und dem Gefühl, nicht dazugehören zu können. 

 

Ăśber WĂĽnsche sprechen: Weihnachten in der Trauer gemeinsam gestalten

Anna, die letztes Jahr ihren Vater verloren hat, berichtet: "Bevor wir uns entschieden haben, wie wir Weihnachten verbringen, haben wir uns als Familie zusammengesetzt und besprochen, was uns wichtig ist. Wir haben auch ganz bewusst darüber gesprochen, welche Rolle mein Vater an Weihnachten immer eingenommen hat: Er hat den Baum geschmückt, die Lichter angezündet, und er war derjenige, der die Geschenke verteilt hat. Das hat uns geholfen zu verstehen, was uns dieses Jahr besonders fehlen würde und was uns Angst macht. Wir haben dann gemeinsam überlegt, was wir beibehalten wollen und was wir anders gestalten sollten, um mit diesen Ängsten umzugehen. Am Ende haben wir uns entschieden, den Heiligabend anders zu gestalten, aber einige der alten Traditionen beizubehalten. Statt das große Festessen zu Hause zu veranstalten, sind wir alle zusammen in ein kleines Restaurant gegangen. Das gab uns Raum, uns nicht ständig mit dem leeren Stuhl zu Hause zu konfrontieren, und trotzdem haben wir im Anschluss in unserer Küche seine Lieblingsplätzchen gebacken. Wir haben gemeinsam gelacht und geweint, und am Ende fühlte es sich tröstlich an – ein Mix aus alt und neu. Es war nicht weniger emotional, aber auf eine andere Art schön."  

 

Rituale bei Trauer an Weihnachten: Was Halt geben kann

Rituale können in der Trauer an Weihnachten eine besondere Bedeutung bekommen. Sie geben Struktur in einer Zeit, die sich oft chaotisch und überwältigend anfühlt, und schaffen Momente der Verbindung – mit sich selbst, mit anderen und mit dem verstorbenen Menschen. Rituale müssen dabei nicht groß oder festgelegt sein. Oft sind es kleine, wiederkehrende Handlungen, die Trost spenden und Halt geben.

 

Singen heilt: 

Das Singen, Brummen und Summen von (Weihnachts-)Liedern kann helfen, Stress und Trauerschmerz abzubauen. Musik berührt uns emotional und hilft dabei, Spannungen zu lösen. Gerade das gemeinsame Singen schafft ein Gefühl von Verbundenheit und Trost, das in der Weihnachtszeit besonders wertvoll sein kann. 

 

Einen Platz finden: 

Eine Kerze anzuzünden, die symbolisch für den geliebten Menschen brennt. Diese Kerze kann während der Feiertage eine feste Rolle bekommen, beispielsweise als Licht, das am Abend angezündet wird, um zu zeigen: Du bist hier bei uns.

 

Erinnerungen teilen und lebendig halten:

Zum Beispiel einen Abend planen, an dem Geschichten von und mit den Verstorbenen erzählt werden. Das kann helfen, die Lücke nicht nur als Leere zu spüren, sondern auch als Ort voller wertvoller Erinnerungen. 

 

Tipps & Tricks fĂĽr Trauernde: Die Feiertage achtsam gestalten

Die Feiertage müssen nicht „gemeistert“ werden. Oft geht es vielmehr darum, Wege zu finden, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und sich selbst nicht zusätzlich unter Druck zu setzen. Die folgenden Tipps können dabei helfen, Weihnachten in der Trauer achtsam zu gestalten.

 

Es ist okay, kein Weihnachten zu feiern:

Wenn sich die Vorstellung, Weihnachten zu feiern, nicht richtig anfühlt, dann ist es absolut in Ordnung, es einfach nicht zu tun. Manchmal kann es heilsam sein, den Tag ganz anders zu verbringen – sei es, im Bett zu bleiben, eine Reise zu unternehmen oder sogar einfach in eine Kneipe zu gehen. Es gibt keine Regeln dafür, wie man trauern muss, und es ist wichtig, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören.

 

Das empfindlichste BedĂĽrfnis bestimmt das Tempo:

Wenn es darum geht, wie Weihnachten gestaltet werden soll, ist es wichtig, dass die Person, die am meisten Unterstützung braucht, das Tempo vorgibt. Das bedeutet, dass Entscheidungen darüber, wie viel gefeiert wird, was beibehalten wird und was verändert werden soll, sich an den Bedürfnissen derjenigen orientieren, die am verletzlichsten sind. So wird sichergestellt, dass niemand überfordert wird und die Feiertage nicht zu einer zusätzlichen Belastung werden.

 

Offene und wertschätzende Kommunikation:

In der Trauer ist es besonders wichtig, offen über die eigenen Bedürfnisse und Ängste zu sprechen. Sich mit Familie und Freunden hinzusetzen und zu besprechen, was möglich ist und was nicht, schafft Klarheit. So können alle besser aufeinander eingehen und es wird vermieden, dass Missverständnisse oder Enttäuschungen entstehen. Eine wertschätzende Kommunikation hilft dabei, Erwartungen zu klären und sicherzustellen, dass jede*r Trauernde so viel Unterstützung bekommt, wie er oder sie es wünscht.

 

Sich erlauben, anders zu feiern:

Es ist völlig in Ordnung, Weihnachten anders zu gestalten – kleiner, ruhiger, weniger festlich. Die Erwartungen von anderen dürfen keine Rolle spielen, wenn es um das eigene Wohlbefinden geht.

 

Hilfe annehmen und Grenzen setzen:

Freunde und Familie wollen oft helfen – und manchmal kann das auch guttun. Aber es ist auch wichtig, Nein zu sagen, wenn man sich überfordert fühlt.

 

RĂĽckzugsorte schaffen:

Sich bewusst Rückzugsmomente einplanen. Ein Spaziergang alleine, ein Buch, das für Ablenkung sorgt – all das kann helfen, die emotional aufgeladene Zeit zu durchbrechen.

 

Neue Traditionen entwickeln:

Weihnachten kann auch eine Gelegenheit sein, neue Rituale zu entwickeln, die Trost spenden. Das könnte ein gemeinsamer Spaziergang sein, das Aufschreiben von Erinnerungen an den geliebten Menschen oder das Backen von dessen Lieblingsplätzchen.

 

Planungsraster: Weihnachten in der Trauer bewusst planen

Um die Feiertage in der Trauer zu gestalten, kann ein einfaches Planungsraster helfen, das Unsicherheiten reduziert und ein Gefühl von Kontrolle gibt. Hier ein möglicher Ansatz: 

 

1. Ort der Feier festlegen:

Möchtest du zu Hause bleiben, einen anderen Ort aufsuchen oder die Feier bei Freunden/Familie verbringen?

 

2. Gestaltung des Abends:

Welche Aktivitäten sollen stattfinden? Soll es traditionelles Essen geben oder etwas Neues? Möchtest du Filme schauen, Spiele spielen oder lieber in Ruhe beisammen sein?

 

3. Gedenken an den Verstorbenen:

Möchtest du den Verstorbenen in irgendeiner Weise einbeziehen? Eine Kerze anzünden, den Platz am Tisch mitdecken, ein Foto aufstellen?

 

4. Rituale und RĂĽckzugsorte:

Pläne bewusst Rituale, die dir Trost spenden. Überlege dir auch Zeiten oder Orte für dich selbst, an denen du dich zurückziehen kannst, wenn es dir zu viel wird.

 

5. Hilfe von auĂźen:

Gibt es Aufgaben, bei denen dir Freunde oder Familie helfen können? Wer könnte dich unterstützen, und wobei genau?

 

Dieses Raster kann dabei helfen, Struktur in eine Zeit zu bringen, die von Unsicherheiten geprägt ist. Es dient nicht als starrer Plan, sondern als flexible Orientierung, die Raum für persönliche Bedürfnisse, Pausen und Spontaneität lässt. Nicht alles muss entschieden werden – manchmal reicht es, einen nächsten kleinen Schritt im Blick zu haben.

 

Weihnachten in der Trauer: Ein persönlicher Weg

Weihnachten in der Trauer ist wie ein Spaziergang durch Schnee, in dem man Spuren hinterlässt: Die Aufgabe ist, die Erinnerung zu bewahren und gleichzeitig neue Wege zu finden. Manchmal geht es nicht darum, das Fest perfekt zu machen, sondern darum, es auf eine Weise zu gestalten, die das eigene Herz ein bisschen wärmer hält. Es gibt kein richtig oder falsch – nur das, was sich für dich selbst am besten anfühlt.

 

 

Quellen: 

  • Klass, D., & Steffen, E. (2018). Continuing Bonds in Bereavement: New Directions for Research and Practice. Routledge. 
  • Neimeyer, R. A. (2001). Meaning Reconstruction & the Experience of Loss. American Psychological Association. 


 

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Anemone Zeim

Anemone Zeim ist Gründerin von Vergiss Mein Nie und schreibt hier über das, was bleibt, wenn das Leben einen Punkt macht – oder manchmal nur ein Komma. Sie bewegt sich elegant zwischen klugen Fußnoten, wildgewordenen Gedanken und poetischen Bauchgefühlen. Sie entwickelt Rituale für Trauernde, die anders sind, die Freude machen, die wirken. Anemone glaubt daran, dass Trauer mehr kann als traurig sein – nämlich verbinden, verwandeln und manchmal sogar ein kleines bisschen glitzern.

     

 

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